Bewertung-löschen24 Logo

Gesteigerte Prüfpflichten durch Ärztebewertungsportal

Bundesgerichtshof, Urteil vom 01.03.2016, Az. VI ZR 34/15

Der Bundesgerichtshof entschied am 01.03.2016, dass ein Ärztebewertungsportal als Hostprovider bei vorgebrachter Rechtsverletzung eine umfassende Interessenabwägung unter Berücksichtigung der betroffenen Grundrechte der Beteiligten vorzunehmen habe. Zwar dürfe der Prüfungsaufwand den Betrieb des Portals weder wirtschaftlich gefährden noch unverhältnismäßig erschweren. Allerdings sei eine gewissenhafte Prüfung von Beanstandungen durch den Portalbetreiber eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass die Persönlichkeitsrechte der bewerteten Ärzte hinreichend geschützt sind.

Gesteigerte Prüfpflichten

War die Überprüfung ausreichend?

Kläger war ein Zahnarzt, der gegen ein Ärztebewertungsportal vorging. Ein anonymer Nutzer hatte auf dem Portal eine Bewertung über ihn veröffentlicht. Darin hieß es u.a. „Ich kann Dr. … nicht empfehlen … Leider ist es einfach, eine positive Bewertung zu schreiben, eine negative dagegen ist – auch rechtlich – schwierig, weshalb ich für die Bewertung auf die Schulnotenvergabe verweise, welche ich mir sorgfältigst überlegt habe“. Im Abschnitt „Notenbewertung“ erhielt der Kläger die Gesamtnote 4,8, die sich aus verschiedenen Einzelnoten, darunter jeweils die Noten 6 für „Behandlung“, „Aufklärung“ und „Vertrauensverhältnis“, ergab. Der Kläger verlangte von der Beklagten, die Bewertung zu entfernen. Er verwies darauf, dass es sich beim Bewertenden nicht um einen Patienten gehandelt habe. Die Beklagte löschte zunächst den Beitrag, stellte ihn dann jedoch unverändert wieder in ihr Portal ein. Aufgrund dessen reichte der Kläger Unterlassungsklage ein. Das Landgericht gab der Klage statt. Die Berufungsinstanz wies die Klage ab. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Unterlassungsbegehren weiter.

Keine unmittelbare Störerin

Der Bundesgerichtshof befand, dass der vom Kläger geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog nicht abgelehnt werden könne. Vorliegend sei die Beklagten zwar nicht unmittelbare Störerin. Denn bei der Bewertung handele es sich nicht um eigenen Inhalt der Beklagten. Auch habe sie sich die Bewertung nicht zu Eigen gemacht. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte die abgegebenen Bewertungen als eigene präsentiert. Auch die vor der Veröffentlichung erfolgende – teilweise technische – Überprüfung der Bewertungen auf „Unregelmäßigkeiten“ reiche für die Annahme eines Zu-Eigen-Machens nicht aus.

Bewertungsportal als mittelbare Störerin

Allerdings sei die Beklagte als mittelbare Störerin anzusehen, so das Gericht. Denn sie trage willentlich und adäquat kausal zur Rechtsverletzung des Klägers bei. Dabei reiche als Beitrag auch die Unterstützung oder Ausnutzung von Handlungen eines eigenverantwortlich handelnden Dritten aus. Zwar dürfe die Haftung als mittelbare Störerin nicht über Gebühr auf die Beklagte erstreckt werden. Sie setze deshalb die Verletzung von Verhaltenspflichten, insbesondere von Prüfpflichten, voraus. Deren Umfang bestimme sich danach, ob und inwieweit der Beklagten als mittelbare Störerin eine Verhinderung der Verletzung zumutbar gewesen sei.

Hinweis auf Rechtsverletzung löst Prüfpflichten aus

Der BGH war der Ansicht, dass ein Hostprovider zwar grundsätzlich nicht verpflichtet sei, die Nutzerbeiträge vor der Veröffentlichung auf eventuelle Rechtsverletzungen zu überprüfen. Er sei aber verantwortlich, sobald er Kenntnis von einer Rechtsverletzung erlangt. Weise ein Betroffener den Hostprovider auf eine Verletzung hin, könne er verpflichtet sein, künftig derartige Störungen zu verhindern.

Offensichtliche Rechtsverletzung

Nach diesen Grundsätzen erachtete der BGH den Rechtsverstoß als unschwer zu bejahen. Denn die angegriffene Bewertung verletze den Kläger offensichtlich in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Betroffenen seien seine Ehre und soziale Anerkennung. Denn die Bewertung seiner Leistungen mit der Note 6 und damit als „ungenügend“ brächte zum Ausdruck, dass er den Anforderungen nicht gerecht geworden ist. Die Kundgabe dieser Bewertung sei geeignet, sich abträglich auf das Bild des Klägers in der Öffentlichkeit auszuwirken.

Abwägung der widerstreitenden Interessen

Zwar liege wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als Rahmenrecht dessen Reichweite nicht absolut fest, so das Gericht weiter. Vielmehr müsse es erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden. Dabei seien die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte zu berücksichtigen. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht sei nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt.

Fehlende Behandlung lässt Klägerinteressen überwiegen

Im Streitfall seien das Interesse des Klägers am Schutz seiner sozialen Anerkennung und seiner (Berufs)Ehre mit der Kommunikationsfreiheit der Beklagten und der Meinungsäußerungsfreiheit des Bewertenden abzuwägen. Dabei sei zunächst zu berücksichtigen, dass es sich beim angegriffenen Beitrag um eine Meinungsäußerung und nicht um eine Tatsachenbehauptung handelt. Zwar enthalte sie die tatsächliche Behauptung des Bewertenden, er habe sich beim Kläger in Behandlung befunden und bewerte diese. Kern der angegriffenen Äußerung sei aber die notenmäßige Bewertung selbst. Sie sei geprägt von Elementen der Stellungnahme, des Dafürhaltens und Meinens. Da aber dieser Bewertung kein wahrer Behandlungskontakt zugrunde liege, überwiege das schützenswerte Interesse des Klägers. Ein berechtigtes Interesse des Bewertenden, eine tatsächlich nicht stattgefundene Behandlung zu bewerten, sei nicht ersichtlich. Entsprechendes gelte für das Interesse der Beklagten, eine Bewertung über eine nicht stattgefundene Behandlung zu kommunizieren.

Keine ausreichende Überprüfung durch Bewertungsportal

Der BGH stellte fest, die Beklagte habe ihrer Prüfungspflicht nicht genügt. Zwar dürfe der zu erbringende Prüfungsaufwand den Betrieb des Ärztebewertungsportals weder wirtschaftlich gefährden noch unverhältnismäßig erschweren. Allerdings hätten reinen Prüfpflichten in der Regel kein solches Gewicht. Auf der anderen Seite berge ein Bewertungsportal von vornherein ein gesteigertes Risiko für Persönlichkeitsrechtsverletzungen. Es bringe die Gefahr mit sich, dass es auch für verletzende Äußerungen missbraucht werde. Der Portalbetreiber müsse deshalb von Anfang an mit entsprechenden Beanstandungen rechnen.

Festlegung von Überprüfungsmaßstäben

Die Überprüfung müsse erkennbar zum Ziel haben, die Berechtigung der klägerseitigen Beanstandung zu klären, so das Gericht weiter. Dafür müsse der Portalbetreiber ernsthaft versuchen, sich die dafür notwendige Tatsachengrundlage zu verschaffen. Er dürfe sich insbesondere nicht auf eine rein formale „Prüfung“ zurückziehen. Im Streitfall hätte die Beklagte die Beanstandung des betroffenen Arztes dem Bewertenden übersenden und diesen zur Stellungnahme anhalten müssen. Sie hätte ihn weiterhin auffordern müssen, ihr den angeblichen Behandlungskontakt möglichst genau zu beschreiben und entsprechende Unterlagen wie Rechnungen, Terminzettel o.ä. zu übermitteln. In jedem Falle hätte die Beklagte dem Kläger diejenigen Informationen und Unterlagen über den behaupteten Behandlungskontakt weiterleiten müssen, zu deren Weiterleitung sie in der Lage gewesen wäre. Dies sei aber nicht erfolgt.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 01.03.2016, Az. VI ZR 34/15