Keine grundsätzliche Löschungspflicht von Daten durch Jameda

Bundesgerichtshof, Urteil vom 12.10.2021, Az. VI ZR
489/19

Der Bundesgerichtshof entschied am 12.10.2021, dass die Ungleichbehandlung zwischen zahlenden und nichtzahlenden Ärzten durch Jameda nicht stets zur Unzulässigkeit der Verarbeitung der personenbezogenen Daten führe. Maßgeblich sei vielmehr, welche konkreten Vorteile der Portalbetreiber zahlenden gegenüber nichtzahlenden Ärzten gewährt und ob dies in einer Gesamtschau dazu führt, dass die Interessen des gegen seinen Willen in das Portal aufgenommenen Arztes die berechtigten Interessen des Portalbetreibers und vor allem der Portalnutzer überwiegen.

Keine grundsätzliche Löschungspflicht

Dürfen Ärztedaten ohne Einwilligung auf einem Bewertungsportal veröffentlicht werden?

Kläger war ein Zahnarzt, Beklagte das Ärztebewertungsportal Jameda. Dieses Portal erstellte für alle in Deutschland ansässigen Ärzte unter Verwendung allgemein zugänglicher Daten sog. Basis-Profile. Darauf waren Angaben wie Fachrichtung, Namen, Praxisadresse, Öffnungszeiten etc. aufgeführt. Die Nutzer des Portals konnten die Ärzte bewerten und Kommentare hinterlassen. Aus den abgegebenen Einzelbewertungen wurden Durchschnittsnoten gebildet, die wiederum als Gesamtnote auf dem Profil des jeweiligen Arztes sichtbar waren. Die Beklagte bot den Ärzten den Erwerb eines „Gold“- oder „Platinpakets“ gegen Zahlung eines gewissen Geldbetrages an. Dadurch konnte die Profilseite – etwa durch Hinzufügen eines Fotos, Verlinkung auf die eigene Internetseite oder Veröffentlichung von Fachartikeln – ansprechender gestaltet werden. Der Kläger hatte nicht in die Aufnahme seiner Daten bei Jameda eingewilligt. Trotzdem wurde dort sein Basis-Profil veröffentlicht. Daher verlangte er die vollständige Löschung seiner ihn betreffenden Daten sowie Unterlassung der Profilveröffentlichung. Die 1. Instanz hatte der Klage stattgegeben; die 2. Instanz wies die Klage in mehreren Punkten ab. Mit der Revision verfolgte der Kläger seine Klage, soweit sie abgewiesen wurde, weiter.

Wahrnehmung berechtigter Interessen

Der Bundesgerichtshof wies die Revision und den damit verbundenen Unterlassungsanspruch zurück. Denn die erforderlichen Voraussetzungen gemäß Art. 17 DSGVO seien nicht erfüllt. Die Datenverarbeitung durch die Beklagte sei rechtmäßig erfolgt. Grund sei, dass mit der Datenverarbeitung von Name, Anschrift etc. die Beklagte zum einen eigene berechtigte Interessen, zum anderen aber auch berechtigte Interessen ihrer Nutzer wahrnehme.

Meinungs- und Unternehmensfreiheit von Jameda

Der BGH befand, die Beklagte verschaffe mit der (möglichst) vollständigen Aufnahme aller Ärzte den Nutzern zunächst einen geordneten Überblick darüber, von wem und wo welche ärztlichen Leistungen angeboten werden. Mit der Sammlung, Speicherung und Weitergabe der Bewertungen vermittele sie darüber hinaus einen Einblick in persönliche Erfahrungen und subjektive Einschätzungen von Patienten zum jeweiligen Arzt. Diese könne der lesende Nutzer bei seiner eigenen Arztwahl berücksichtigen. Das Interesse der Beklagten am Betrieb des Portals falle damit zunächst in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit. Danach sei nicht nur die Äußerung der eigenen Meinung, sondern auch die Weitergabe fremder Meinungen und Informationen geschützt. Zudem erfülle die Beklagte mit dem Portalbetrieb eine von der Rechtsordnung grundsätzlich gebilligte und gesellschaftlich erwünschte Funktion. Dies gelte gerade auch in der Ausprägung als Geschäftsmodell, denn dies sei eine durch die Unternehmensfreiheit geschützten gewerblichen Tätigkeit.

Meinungs- und Informationsfreiheit der Nutzer

Berechtigte Interessen der Nutzer nehme die Beklagte aber auch insoweit wahr, als sie aktiven Nutzern die Abgabe und Verbreitung einer Meinung ermögliche, so das Gericht. Passiven Lesern wiederum verschaffe sie durch das Portal die Möglichkeit, von diesen Meinungen Kenntnis zu nehmen.

Erforderlichkeit der Datenverarbeitung

Der BGH entschied, dass die Verarbeitung der personenbezogenen Daten des Klägers zur Verwirklichung der berechtigten Interessen der Beklagten und ihrer Nutzer erforderlich sei. Zwar müsse diese Voraussetzung restriktiv ausgelegt werden. Vorliegend sei das Merkmal der Erforderlichkeit aber erfüllt. Für den Betrieb des Bewertungsportals sei die von der Beklagten vorgenommene Verarbeitung der personenbezogenen Daten der Ärzte unabdingbar. Denn ohne deren hinreichende Identifizierbarkeit könne ein solches Portal den Nutzern keinen Überblick über die für sie infrage kommenden Ärzte verschaffen. Außerdem sei andernfalls keine Bewertung durch die Nutzer möglich. Die sich auf Namen, berufsbezogene Informationen und abgegebene Bewertungen beschränkende Darstellung auf den Basis-Profilen erfülle diesen Zweck und gehe nicht über das unbedingt notwendige Maß hinaus.

Kein überwiegendes Interesse des Klägers

Schließlich überwiegen die Interessen des Klägers nicht die von der Beklagten mit dem Portalbetrieb wahrgenommenen berechtigten Interessen, so der BGH weiter. Zwar sei festzustellen, dass ein Arzt durch die Aufnahme in das Bewertungsportal erheblich belastet werde. Denn die Bewertungen haben möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf den sozialen und beruflichen Geltungsanspruch eines Arztes. Denn dadurch werde auch die Auswahl von potentiellen Patienten beeinflusst. Das wiederum wirke sich unmittelbar auf den Wettbewerb mit anderen Ärzten aus. Im Falle von negativen Bewertungen könne dies sogar die berufliche Existenz gefährden. Auch die Breitenwirkung von Jameda sei erheblich. Schließlich sei nicht auszuschließen, dass das Portal dazu missbraucht werde, unwahre, beleidigende oder sonstige unzulässige Aussagen bezüglich eines Arztes ins Netz zu stellen, auch wenn der jeweilige Arzt dem nicht schutzlos ausgeliefert sei und sich dagegen wehren könne.

Überwiegendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit

Das Gericht sah auf der anderen Seite ein ganz erhebliches Interesse der Öffentlichkeit an Informationen über ärztliche Dienstleistungen. Die Beklagte trage dazu bei, den Patienten erforderliche Informationen für die Arztwahl zur Verfügung zu stellen. Dies sei grundsätzlich geeignet, zu mehr Leistungstransparenz im Gesundheitswesen beizutragen. Diesen Zweck könne die Beklagte jedoch nur noch eingeschränkt erfüllen, wenn die Veröffentlichung von der Zustimmung der bewerteten Ärzte abhängig wäre.

Keine zwangsläufige Ungleichbehandlung zwischen zahlenden und nichtzahlenden Ärzten

Der BGH berücksichtigte schließlich auch, inwieweit die Beklagte im Portalbetrieb als „neutrale Informationsmittlerin“ agiere. Verlasse sie diese Stellung, könne sich dies nachteilig auswirken. Ein strenges Gleichbehandlungsgebot mit der Folge, dass eine Ungleichbehandlung von nichtzahlenden und zahlenden Ärzten stets zur Unzulässigkeit der Datenverarbeitung führt, lasse sich daraus aber nicht ableiten. Ein solcher Automatismus sei schon mit der nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f) DSGVO gebotenen Abwägung unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls nicht vereinbar. Maßgebend sei vielmehr, welche konkreten Vorteile die Beklagte zahlenden gegenüber nichtzahlenden Ärzten gewährt und ob die sich daraus ergebende Ungleichbehandlung in einer Gesamtschau dazu führt, dass die Interessen des gegen seinen Willen in das Portal aufgenommenen Arztes die berechtigten Interessen der beklagten Portalbetreiberin und vor allem deren Nutzer überwiegen.

Nachteile des Arztes nicht stark genug

Nach diesen Erwägungsgrundsätzen kam der BGH zu dem Schluss, dass die Klägerinteressen am Unterbleiben der Verarbeitung nicht überwiegen. Zwar werde der Kläger gegenüber zahlenden Kunden benachteiligt, da auf deren Profilen entsprechende Veröffentlichungen erfolgen. Auch stellen Fachartikel letztlich eine Art der Werbung für den veröffentlichenden Arzt dar, dessen (Premium-) Profil mit dem jeweiligen Artikel sogar verlinkt sei. Diese Art der Portalgestaltung sei damit durchaus geeignet, einen sich für den Kläger interessierenden potentiellen Patienten zum Profil eines anderen Arztes aus demselben Fachgebiet zu lenken. Besonderes Gewicht komme diesem Nachteil aber deshalb nicht zu. Denn die Ärzte seien nicht zwangsläufig im räumlichen Umfeld des Klägers tätig und stehen in Konkurrenz zu ihm. Damit könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger Patienten an Konkurrenten verliert. Auch komme dem Umstand, die Gestaltung der Seite könne den Eindruck erwecken, der Kläger könne oder wolle keinen entsprechenden Fachartikel veröffentlichen und verfüge nicht über die dazu erforderliche Qualifikation oder das erforderliche Engagement kein solches Gewicht zu, dass im Rahmen der erforderlichen Gesamtabwägung von einem überwiegenden Interesse des Klägers ausgegangen werden könnte.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 12.10.2021, Az. VI ZR 489/19